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Bonn,  21. Dezember 2015

 

 
   

Dr. Benjamin Etzold

 

Sozialgeographie,

geographische Migrations-

und Entwicklungsforschung

 

 

Neben- oder Miteinander?

Wie erleben die Dransdorfer das Zusammenleben in Vielfalt?

Dransdorf ist eines der vielfältigsten Stadtteile Bonns. Im Vergleich zu anderen Vierteln ist hier der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund deutlich höher. In über 90 Länder reichen die Wurzeln der 5.200 Menschen, die heute in Dransdorf wohnen. Im Alltag treten kulturelle und religiöse Unterschiede, aber auch verschiedene soziale Bedingungen und wirtschaftliche Möglichkeiten offen zu Tage. Die Anwohner kennen die Probleme vor Ort und manche beklagen dass ihr Viertel in einzelne Teile zerfällt. Auch der im Stadtteilverein engagierte Jürgen Körner beschreibt Dransdorf als ein „Mosaik“, dessen Steine zusammengehalten werden müssen. Es sei daher bemerkenswert wie gut und friedlich das Zusammenleben von Menschen unterschiedlichster Herkunft hier funktioniert. Im Rahmen eines Projektseminars haben sich nun Studentinnen und Studenten des Geographischen Instituts der Universität Bonn in Kooperation mit dem Stadtteilverein Dransdorf mit dem „Zusammenleben in Vielfalt“ beschäftigt und sich gefragt unter welchen Voraussetzungen gesellschaftliche Integration gut gelingt. Sechs studentische Forschungsteams waren im Dezember und Januar in Dransdorf unterwegs und haben das Gespräch mit Anwohnern, mit Geschäftsinhabern und mit Mitarbeitern von im Viertel engagierten Vereinen gesucht.

 

Ein vierköpfiges Team entwickelte den Dokumentarfilm „Zusammenleben. In Vielfalt - Gesichter von Dransdorf“. Valentin Idel, Martin Kollmann, Vitorio Piras und Max Windolf interviewten Vertreter von Vereinen und Initiativen um die Verbindungen der Menschen sowie mögliche Bruchlinien im Stadtteil aufzuzeigen. So erklärte Francisco Lahora, Trainer des Fußballvereins 1.FC Bonn, dass Dransdorf in verschiedene räumliche und soziale Einheiten gegliedert sei. Die Trennung zwischen der Hochhaussiedlung und dem Dorfkern zeigt sich nicht nur durch Barrieren (wie die Bahnlinie und die Grootestraße) im Raum, sie ist auch in den Köpfen der Menschen zementiert. Darüber hinaus sind manche junge Migranten mit ganz unterschiedlichen Rollen und Erwartungen in ihrer Familie und in der Schule oder im Fußballverein konfrontiert; sie leben geradezu ein „Doppelleben“. Auch Patrick, ein Freiwilliger der Jugendfeuerwehr, sagte, dass im Viertel ganz „unterschiedliche Welten“ zu sehen sind. Das schöne sei allerdings, wenn alle bei Aktivitäten in Vereinen und bei Festen zusammen kommen. Dann sind die Unterschiede vergessen, nur die Gemeinsamkeiten zählen. Dennoch sei es wichtig „von jedem die Kultur kennenzulernen“ und sich anzupassen, wie Sascha, ein Anwohner der Lenaustraße, betont. Die im Video festgehaltenen Gespräche zeigen, dass die in Dransdorf tätigen Vereine und Initiativen einen wichtigen Beitrag für das Zusammenleben in Vielfalt leisten, indem sie Begegnungen fördern. Nur durch Begegnungen können Vorurteile abgebaut und voneinander gelernt werden.

Dransdorf ist generell ein sehr junges Viertel. In der zweiten Arbeitsgruppe gingen Fabian Luthmann und Matthias Szozodrowksi daher der Frage nach wie und an welchen Orten Kinder und Jugendliche das Zusammenleben in Vielfalt (er)leben. In ihrem Alltag kommen sie stärker in Kontakt mit kultureller, religiöser und sozialer Vielfalt als viele Erwachsen. Es gibt in Dransdorf zahlreiche Orte, die im Alltag vieler Kinder und Jugendlicher eine zentrale Rolle spielen und ein modernes Verständnis von Vielfalt vermitteln, wie die Kettelerschule,  das Jugendzentrum, das Kinderhaus UNO oder den Stadtteilverein. An diesen „Orten der Vielfalt“ wird jeder Mensch mit seinen individuellen Stärken gesehen, der Austausch untereinander und der Zusammenhalt in der Gemeinschaft werden gefördert. Während viele Kinder und Jugendliche die freiwilligen Angebote am Nachmittag sehr schätzen, werden andere allerdings nicht erreicht. Viele wissen schlichtweg nicht von der Existenz der Angebote, oder sie dürfen nicht teilnehmen. Ihnen wird ein selbstverständlicher Umgang mit Vielfalt genommen. Es ist zu hoffen, dass sich ein modernes und weltoffenes Verständnis von Vielfalt auch auf die Lebenswelt der Erwachsenen Generation überträgt.

 

Mit welchen Problemen kämpfen die Flüchtlinge in Dransdorf und welches Potentiale der Integration von Flüchtlingen gibt es im Stadtteil? Mit diesen Fragen beschäftigten sich Antonela Mihaljevic, Kristina Militzer, Raphael Schmiedel und Pia Winter. Sie sprachen mit Sozialarbeitern, Experten und Ehrenamtlichen und vielen in der Dransdorfer Unterkunft lebenden Flüchtlingen. Einige Flüchtlinge fühlen sich noch nicht im Alltagsleben des Stadtteils eingebunden. Bei manchen liegt das daran, dass sie schlichtweg größere Sorgen haben und erstmal versuchen für sich zurechtzukommen. Andere haben eine stärkere Eigeninitiative gezeigt und setzen sich mit ihrem neuen Wissen nun auch für andere Bewohner der Unterkunft ein – Kontakte zu Bonner Bürgern sind hierfür sehr wichtig. Die regelmäßigen Treffs im Gemeindezentrum der St. Antonius Kirche und im „Café Zuflucht“ in der Kettlerschule, von Ehrenamtlichen initiierte Patenschaften, sowie die Sozialberatung des Stadtteilvereins spielen hierbei eine Schlüsselrolle. Die Zusammenarbeit zwischen der Stadt, den karitativen Einrichtungen, der Kirche und den ehrenamtlichen Initiativen sollte weiter intensiviert werden, um die Lebenssituation der Flüchtlinge nachhaltig zu verbessern und ihnen weitere Chancen der gesellschaftliche Teilhabe zu eröffnen. Das vor Ort vorhandene Unterstützungspotential, das durch Gastfreundschaft, interkulturelle Kompetenz und Mehrsprachigkeit vieler Dransdorfer entsteht, ist bei Weitem noch nicht ausgeschöpft.

Die vierte Projektgruppe befasste sich mit dem „Zusammen(halt) in Vielfalt“ einer sich regelmäßig im Stadtteilverein treffenden Frauengruppe. Paulina Grigusova und Charlotte Driller haben sechs Frauen unterschiedlicher Herkunft interviewt. Auffallend war, dass bei alle Frauen der Bezug zu ihrer Heimat im Alltag in Dransdorf immer wieder hergestellt wird. Die Sprache, die Religion und auch das Kochen spielen hierbei eine große Rolle. Des Weiteren sind ihnen der Zusammenhalt in ihrer Familie und insbesondere auch ihre Aufgaben als Mütter sehr wichtig. Die wöchentlichen Angebote im Stadtteilverein sowie die Feste von und für Frauen werden von den Frauen gerne wahrgenommen. Denn hier finden sie einen Ausgleich zu häuslichen Aufgaben und haben die Möglichkeit sich untereinander auszutauschen und auch neue Bekanntschaften zu machen. Die Gesprächspartnerinnen betonten, dass das Miteinander in der Frauengruppe sehr viel Spaß macht, gerade auch weil andere Kulturen und Eigenschaften von allen akzeptiert werden. Das Zusammenleben in Vielfalt wird durch Offenheit, Toleranz und Neugierde der Frauen getragen.

Die Geschäftsstruktur des Viertels und die Problemen, die gerade jüngere Anwohner bei der Arbeitssuche haben, nahm die fünfte Projektgruppe in den Blick. Domenico Argento, Riccardo Mittelstaedt und Lena Otzipka haben die Geschäfte im Viertel kartiert und sieben Interviews mit Arbeitgebern, einem Auszubildenden und arbeitslosen Jugendlichen geführt. Zunächst viel ihnen auf, dass es trotz des hohen Anteils an Zuwanderern in Dransdorf keine auf diese Zielgruppe ausgerichteten „ethnischen Geschäfte“ gibt, d.h. keine `türkischen Gemüseläden´ oder `russischen Supermärkte´ wie in Tannenbusch oder in der Altstadt. Die besonderen Bedürfnisse an Lebensmitteln der Dransdorfer mit Migrationshintergrund werden weitestgehend durch die große Produktfülle des Supermarktes vor Ort gedeckt. Im Gespräch sagte Herr Bachem, der Betreiber des Edeka, dass er bewusst Regale mit z.B. polnischen oder russischen Artikeln eingerichtet hat, um diese Zielgruppe anzusprechen. Außer in den Einzelhandelsgeschäften gibt es im Viertel nur wenige Arbeitsmöglichkeiten, insbesondere für gering Qualifizierte. Viele junge Migrantinnen und Migranten haben daher große Probleme eine passende Ausbildungs- oder Arbeitsstelle zu finden. Allerdings wurde ebenso angesprochen, dass die hohe Arbeitslosigkeit im Viertel nicht nur auf ein Fehlen der richtigen Arbeitsplätze zurückzuführen ist. Bei manchen jungen Erwachsenen fehlt es anscheinend an der richtigen Einstellung zur Arbeit oder an Eigeninitiative sich um eine Ausbildung oder Fortbildung zu bemühen. So oder so ist der Einstieg in den Arbeitsmarkt für sie schwierig.

Team sechs stellte sich die Frage, ob und wie sich das Zusammenleben in Vielfalt im Dransdorfer Wohungsmarkt zeigt. Sarah Koziol und Verena Boje stellten zum einen fest, dass sich die Lebensbedingungen und Wohnsituationen innerhalb Dransdorfs sehr stark unterscheiden. Zwischen den Wohngebieten wie der Siedlung Hölderlin-/Lenaustraße oder der Carl-Duisberg-Straße gibt es klar sichtbare Grenzen. Zum anderen wurde deutlich, dass die einzelnen Straßenzüge in Dransdorf oft als geschlossene Einheiten existieren, innerhalb derer es ein starkes Miteinander gibt und es sich eine eigene Kultur entwickelt. Das Zusammenleben in Vielfalt findet also nicht in ganz Dransdorf statt, vielleicht wird dies auch nicht von allen Anwohnern des Viertels so gewollt. Dennoch wiesen einige Gesprächspartner darauf hin, dass die Schaffung neuer zentraler Treffpunkte im Viertel, wie Cafés, den Austausch aller Anwohner fördern würde.

 

 

Die Ergebnisse aller Projekte zeigen, dass es noch mehr Orte der Begegnung braucht und weitere Brücken über die im Viertel bestehenden räumlichen und sozialen Grenzen gebaut werden müssen. Dann wird die gesellschaftliche Vielfalt nicht als Bedrohung oder Nachteil empfunden, sondern als Selbstverständlichkeit und als Mehrwert erlebt. Und vielleicht macht gerade diese Vielfalt Dransdorf zu einem so dynamischen Viertel im Aufbruch.

 

Benjamin Etzold, Geographisches Institut der Universität Bonn

 

Bei Interesse können die detaillierten Projektergebnisse unter etzold@giub.uni-bonn.de  angefordert werden.